Die Anlage Stöhr II

 

Bereits durch vorangegangenen Bergbau in den Wittekindsberg getriebene Stollen dienten als Grundlage für die Anlage mit dem Codenamen „Stöhr II“. Von der SS-Sonderbauinspektion wurde für diese Anlage ein Stollen ausgewählt, der sich etwa achtzig Meter unterhalb des Kaiser-Wilhelm Denkmals befand und unter diesem hindurch in Richtung Westen erstreckte – dem sogenannten „Denkmalstollen“. Durch Verbindung dieses Stollens mit benachbarten Stollen sollte somit ein größerer Fertigungsbetrieb entstehen.  Die ehemalige Haupteinfahrt zu der Anlage „Stöhr II“ befand sich etwa achtzig bis neunzig Meter unterhalb des Denkmals. 

Foto : Der Eingang zur Anlage Stöhr II während des Krieges
 

Trotz der Pläne, durch eine Verbindung zu benachbarten Stollen, einen weitaus größeren Fertigungsbetrieb entstehen zu lassen, wurde die Anlage „Stöhr II“ letztendlich nur unter Verwendung des ursprünglichen Denkmalstollens errichtet. Anstelle der genannten Einbeziehung anderer Stollen wurden beim Bau drei Zwischendecken aus Beton eingefügt um somit insgesamt vier Etagen für die geplanten Produktionen zur Verfügung zu stellen.

Dies war dadurch möglich, dass der ursprüngliche Stollen so erweitert wurde, dass für die gesamte Anlage ein Stollen zur Verfügung stand, der neunzig Meter lang, zwölf Meter breit und siebzehn Meter hoch war. Zusätzlich wurden Treppenhäuser eingefügt, welche die verschiedenen Etagen miteinander verbanden.

Der Eingangsbereich des Stollens wurde durch eine schwere Bunkermauer vor Angriffen gesichert, jedoch sind keine entsprechenden Angriffe bis zum Ende des Krieges bekannt. Wie die meisten Anlagen dieser Region wurde auch bei der Anlage „Stöhr II“ im Herbst 1943 mit dem Bau begonnen. Mitte 1944 soll der Bau der Anlage „Stöhr II“ dann abgeschlossen gewesen sein. Im September 1944 soll dann die Produktion auf allen Etagen der Anlage unter Mithilfe von insgesamt vierhundert bis fünfhundert Produktionskräften angelaufen sein. Welcher Art diese Produktionskräfte waren, ist leider nicht erwähnt, jedoch muss davon ausgegangen werden, dass sich die Belegschaft fast ausschließlich aus Zwangsarbeitern des Lagers Barkhausen zusammensetzte, da Berichten zufolge der größte Teil dieser Arbeitskräfte ausländischer Herkunft war.

 

In den ersten beiden Etagen war die Firma Dr.Ing.Böhme & Co Metallwarenfabrik Minden-Lübbeckerstrasse untergebracht. Hier wurden kriegswichtige Kugellager der Durchmesser 5/8“ bis 2“ hergestellt. Die gesamte Fertigung soll einen Nicht-Präzisions-Fertigung gewesen sein und nur der Endmontage der Lager gedient haben. Die präzisionsgefertigten Kugeln wurden zum Teil aus Schweinfurt angeliefert, die Gehäuse von der Firma oberirdisch in Minden gefertigt.

Die Fertigung der Gehäuse sollte dann zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls in die unterirdische Produktionsanlage verlegt werden, somit wäre man nur noch auf die Anlieferung der benötigten Kugeln angewiesen gewesen. Um die Tragkraft der Decken nicht unnötig hoch zu belasten wurden die schweren Drehbänke ausschließlich im Erdgeschoss untergebracht. Da auch hier Durchgänge von bestimmter Größe benötigt wurden, ordnete man diese Maschinen schräg, mit einem Winkel von 27° zur Längsachse an. Die zum Härten der Werkstücke benötigten elektrischen Schmelzöfen wurden in separaten Räumen neben dem Hauptstollen untergebracht und befanden sich auf beiden Etagen. Die Produktionsleistung lag monatlich zwischen 250.000 und 350.000 Stück, die Gesamtleistung der Anlage zwischen 1.000.000 und 3.000.000 Kugellagern im gesamten Produktionszeitraum von sechs Monaten. Hinsichtlich der Produktionszahlen sind keine genauen Daten bekannt, da sich die Angaben der deutschen Ingenieure und die Schätzungen der Alliierten zu sehr von einander unterscheiden. Von einem Mittelmaß ist daher auszugehen. Die zweite und dritte Etage wurde von der Firma „Atrupa“ aus Aachen belegt. Diese Firma stellte Komponenten für die Panzerfaust her. Hier lief die Produktion gegen Ende Oktober 1944 an.

 
Foto : Grundriss der unteren Etage
 

In der Decke der obersten Etage wurden Lüftungskanäle eingebettet, um so die Belüftung der Anlage zu gewährleisten.  Die Belüftungsanlage bestand aus einem Zuluft- und Abluftsystem. Die von einem doppelten Ventilator angesaugte Außenluft wurde durch einen Erhitzer geleitet und anschließend durch zwei horizontale Befeuchterplatten befeuchtet. Letzteres diente im Sommer dazu, die Luft zu kühlen und war im Winter nicht in Betrieb. Die angesaugte Luft wurde zusätzlich noch gereinigt, indem sie durch einen Wäscher geleitet wurde, der von der Hauptwasserversorgung gespeist wurde. Die Abwässer dieses Wäschers wurden ebenfalls in die Weser geleitet. Die Regulierung der Temperatur erfolgte nur über den Erhitzer. Andere Regelfunktionen waren nicht vorgesehen. Die so behandelte Zuluft wurde von der obersten Etage über ein System aus senkrechten, lackierten Blechrohren auf die verschiedenen Etagen der Anlage verteilt. Die bodennahen Auslässe waren mit verstellbaren Lamellen ausgestattet um eine geringfügige Regelung zu ermöglichen. Die Abluft wurde über, in Deckenhöhe angebrachte, Ansaugrohre zum Hauptabluftrohr geleitet. Für die anderen, vom Hauptsystem getrennten Räume stand in der obersten Etage ein separates Lüftungssystem zur Verfügung.

 

Die Druckluftversorgung erfolgte über zwei wassergekühlte Kompressoren, welche im Erdgeschoss aufgestellt waren. Von hier aus wurde die Luft dann über ein Rohrsystem in die entsprechenden Anlagenteile weitergeleitet.

 

Die Stromversorgung erfolge über eine städtische 6 kV Leitung, die zum Transformator im Kesselhaus führte. Hier wurde die Spannung auf 380V bzw. 220V herunter transformiert. Die einzelnen Leitungen wurden dann unter Verwendung von Platten, welche an den hölzernen Deckenstützbalken angebracht waren, in die Anlage geführt. Als Beleuchtung dienten einfache Glühlampen, welche sich in Leuchten befanden, die mit polierten Eisenreflektoren ausgestattet waren. Diese Beleuchtung zeigte sich als ausreichend, da alle Wände der Anlage weiß gestrichen wurden. Erdungsmaßnahmen der elektrischen Anlagen sind nicht bekannt.

Der Transport von Materialien für die Anlage erfolgte per Kleinbahn und mit Loren. Innerhalb der Anlage wurden die betreffenden Gegenstände dann über den eingebauten, mit zwei Tonnen Tragkraft versehenen,  Lastenaufzug auf die einzelnen Etagen verteilt. Außerdem bestand die Möglichkeit, Lasten durch einen, in der dritten Etage befestigten, Flaschenzug direkt auf die jeweilige Etage zu verfrachten.

   

Hierfür waren Öffnungen in der Bunkermauer des Stolleneinganges vorhanden. Auf den einzelnen Etagen wurden die Lasten dann entweder per Hand, oder mit elektrisch betriebenen Transportwagen bewegt.

 

Nach Kriegsende wurde die Anlage, wie alle anderen, gründlich untersucht und danach versiegelt. Auch hier wurde der Haupteingang effektiv gesprengt. Die übrigen Belüftungsschächte wurden mit Beton versiegelt, noch verbleibende Öffnungen im Geröllhaufen mittels Beton ebenfalls vergossen. Seit der Sprengung ist diese Anlage hermetisch verschlossen und bietet keinerlei Zugangsmöglichkeit mehr.

   
Fotos : Rechts : Sprengung der Anlage / Mitte : Eingangsbereich heute / Links : Versiegelter Eingang